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Berater-Tagebuch | Episode 1: Über den Wolken

Ich fliege viel. Das ist nicht weiter schlimm, denn ich fliege gerne. Um ehrlich zu sein fliege ich weitaus lieber, als mit der Bahn oder dem Auto zu reisen. Das ist zwar öko-politisch nicht korrekt, doch was soll ich sagen: ich fliege einfach gerne! Ich mag die Zeit vor dem Check-in, wenn sich jeder zweite darüber aufregt, dass es mal WIEDER EWIG dauert, weil WIE IMMER zu wenig Schalter geöffnet sind (gleichwohl ALLE Schalter besetzt sind). Ich liebe es, die Gesichter meiner Mitreisenden zu betrachten – einige aufgeregt, einige in Gänze tiefenentspannt. Warten auf Check-in oder Boarding ist Realsatire vom Allerfeinsten: da werden Ehen in kürzester Zeit und auf bisweilen groteske Weise abgewickelt, Eltern überwerfen sich mit ihren quengelnden Kindern, es hagelt gerade so gegenseitige Vorwürfe und junge Paare – noch eben frisch verliebt – bekommen sich wegen irgendeines Firlefanzes wenige Minuten vor dem lang ersehnten und hochromantisch angedachten ersten Urlaub in die akkurat frisierten Haare.

Das ist die Zeit, in der es sich lohnt, sich mit guter Musik auf den Ohren und einem  erfahrenen und gütigen Frequent-Traveller-Karteninhaberin-von-mindestens-drei-Fluggesellschaften–Lächeln entspannt zurückzulehnen und Kraft zu schöpfen – aus dem Stress, den sich die Mitreisenden eigens inszenieren.

Es ist wirklich faszinierend: noch nie habe ich davon gelesen, dass eine der freundlichen Bodenstewardessen mit während des Boardings spontan die Türe geschlossen hätte – direkt vor der Nase des eben noch schubsenden Fluggastes – mit den Worten:  „Verzeihung, aber die Maschine muss jetzt leider starten, sonst kommen wir nicht pünktlich an. Da hätten sie eben ein bisschen energischer drängeln müssen.“ 

Nirgendwo sonst zeigt sich die korrekte Ur-deutsche Mentalität so deutlich wie am Check-in-Schalter: ich habe bezahlt, ich bin pünktlich (zumeist sogar bereits 2 Stunden zu früh) – ich habe ein RECHT zu meckern.

Ueber den Wolken
Foto: Kerstin Diefenbach, aus einem A320 von Berlin nach Frankfurt, 2014

Seit geraumer Zeit sinniere ich über folgende Vermutung:  ca. 68 Prozent aller deutschen Flugpassagiere der Altersgruppe 65+ buchen sich ein Flugticket, da dies bei den aktuellen Wettbewerbs-Preisen der Fluggesellschaften im Vergleich zur Entwicklung unseres Gesundheitswesen mittlerweile günstiger ist, als sich im Wartezimmer des Hausarztes zu treffen und dort dem geneigten Umfeld seinen Unmut über das Leben an und für sich über zu helfen. Und wie es dem Deutschen dann so eigen ist, trägt er dieses liebgewonnene Konzept der Gesamtunzufriedenheit hinaus in die Welt, um sie mit seinen Tugendenden zu missionieren. So stellt der deutsche Reisende sicher, dass selbst an entlegeneren Ecken (nehmen wir beispielsweise den Flughafen in Colombo auf Sri Lanka) ganz sicher irgendwo hinter einem in der Schlange die Siegfrieds und Brünnhildes unseres Landes in dem einen oder anderen Dialekt in lautem, bestimmten aber unfreundlichen Tonfall ihrem Unmut über Wartezeiten am Check-in freien Lauf lassen und einem ins noch mild entspannte Ohr brüllen, dass es SOWAS zu Hause ja NICHT geben würde.  Schließlich wartet da ja noch ein Duty Free Shop und Vati hat noch keine zollfreien Zigaretten eingeholt.

Hach. Fliegen! Das ist Duft der großen weiten Welt – sobald der Kerosingestank nach dem Start verflogen ist. Der Flieger steigt, der Magen senkt sich und schwups! schon ist der eben noch graue Himmel ersetzt durch ein herrlich leuchtendes Blau und strahlende Sonne.

Fliegen – das ist Freiheit, Unabhängigkeit – fliegen ist Luxus. Ja, auch 30 Jahre nach meinem ersten Flugerlebnis muss ich gestehen: ich empfinde das Reisen per Avion noch immer als Luxus.

Und, liebe Business Kasper Kollegen: ist es nicht Schlichterdings ein herrlicher Ego-Kick, sich gelangweilt in den Gang-Sitz zu parken, sofort die Financial Times aufzuschlagen und demonstrativ die liebevoll choreographierten Sicherheitshinweise des Bordpersonals zu ignorieren, um somit Routine und ich-kenne-mich-aus zu demonstrieren, während sich der Dummbatz von einem Flug-Anfänger auf dem Nachbarsitz noch ausgiebig und angestrengt nach dem eben erwähnten Faltblatt in der Tasche am Vordersitz verrenkt?

Über den Wolken – das ist die Zeit, in der mein Zeit-Raum-Kontinuum mit sich und meinem Ätherleib im Einklang schwingt. Da darf man einfach mal die Zeit verdaddeln mit…NICHTS. Da ist Raum für die wichtigen philosophischen Fragen des Alltags:  werde ich es noch erleben, dass ich mittels Beamer die Welt bereise und falls ja – bekommt man vom Beamen Cellulitis? Und sollte das mit dem Beamen dann doch schief gehen: gibt es ein Leben nach dem Tod und hätte ich dafür die passenden Schuhe?

Wie gesagt: ich fliege gern. Und deshalb muss ich jetzt auch aufhören – gleich startet mein nächster Flug.

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